Recht
Hoheit belieben zu belustigen
Da in der Entwicklung von Kosmos, Biologie und Gedanken keine Rechte, sondern stets nur ableitbare Pflichten sichtbar werden, muss auch die Entstehung der Rechtgläubigkeit, welche sich in vermeintlichen Rechtsansprüchen ausdrückt, eine merkwürdige Fehlentwicklung sein. Vor allem die Vorstellung von einer Gerechtigkeit wird für die einzelne Person früher oder später, aber immer mehr oder weniger brutal, durch die reale Gerichtspraxis zerstört.
Wenn ich mich zurück erinnere, fand mein erster Kontakt mit der Rechtsauslegung in der Schule anlässlich einer biblischen Unterrichtung statt: Das Gleichnis vom salomonischen Urteil mit der Schlussfolgerung, dass es göttlicher Weisheit bedarf, um Recht zu sprechen. Noch gar nicht gewusst hat der unterrichtende Theologe vermutlich allerdings, dass der Sohn von König David, eben dieser König Salomon, den jungen Staat Israel durch den Palastbau von Jerusalem in den Bankrott geführt hat.
Zumindest theoretisch konnte man folglich auch schon vor über zweitausend Jahren das Pech haben, von einem Schwachsinnigen im Namen göttlicher Weisheit gerichtet und ans Kreuz genagelt zu werden. Daran hat sich wenig geändert, mit dem Unterschied allerdings, dass heute ein wesentlich grösseres Risiko für ein falsches Urteil besteht, weil die Rechtsauslegung selbst die Züge von zusammenhangloser Orientierungslosigkeit anzunehmen bereit ist, wenn die göttliche Weisheit als gut bezahlte Belustigung im Namen des dem Allmächtigen unterworfenen Volkes praktiziert wird.
Man muss das erlebt haben, um zu wissen, was eine solche Belustigung ist: Da grabschen hauptamtliche Richter wegen einer Bagatelle geschäftig in Büchern herum nach dem Motto, man müsste die Zusammenhänge nicht im Kopf haben, sondern nur noch wissen wo nachzusehen ist, witzeln im Beratungszimmer beim Kaffee Cognac über Nebensächliches und merken selbst beim Verlesen der Urteilsbegründung nicht, dass der Gerichtsschreiber, dem sie den ganzen Fall schon vorgängig zur Erledigung übergeben haben, den Sachverhalt völlig falsch eingeordnet hat, was beweist, dass sie die ernst gemeinten Vorträge der Parteien gar nicht wahrgenommen haben, die Ehre als Resultat von erfüllten Pflichten interessiert überhaupt niemanden, nicht einmal die Rechtsanwälte der Parteien, welche allerdings die genau gleiche Schulung und Grundausbildung absolviert haben wie die Richter.
Diese formelle Arroganz von vermeintlicher Hoheit wird auch in den Militärschulen vermittelt, bloss wird dort wenigstens noch gefordert, dass ein Fehler nur einmal gemacht werden darf. Das Rechtsystem der Hoheitsbelustigung wurde in Europa damals in den römischen Kastellen zusammen mit der christlichen Lehre durch die Besatzer installiert. Offenbar hat dabei die Missbilligung des staatlichen Rechts durch den Apostel Paulus noch niemanden interessiert.
Ursprünglich hat sich aus den ungeschriebenen Gesetzen zwischenmenschlicher Beziehung, also sozialer Verhaltensweise, ein sakrales Recht entwickelt; du sollst/du sollst nicht. Diese grundlegende, auf das Wesensmerkmal der sozialen Kooperation von Menschen als Gattung basierende Moral bedarf keiner Auslegung, sie ist bis auf den heutigen Tag subjektives Recht der ungeschriebenen Gesetze im Gegensatz zur politischen Ethik.
Der Fehler passierte also dort, wo durch Festschreibung persönlicher Freiheit und Verhaltensmuster ein übergeordnetes objektives Recht entstanden ist, das sich zwangsläufig in einem Widerspruch zum subjektiven Recht befindet, auf welchem es sich aber abstützen können müsste.
In der weiteren Entwicklung entstanden die kasuistischen Gesetze, also die Anwendung von Prinzipien auf den Einzelfall; Gesetzt der Fall (. . .), dann sollst du (. . .). Die Kasuistik ist aber nur dann in ihrer Anwendung gerecht, wenn sie nicht willkürlich der zufälligen Moral einer an sich belanglosen Geschichte untergeordnet wird.
Genau dies wurde aber verhindert, heute wird sogar versucht, Geschichtsschreibung und Weltanschauung im Recht zu verankern, was letztlich zu einer nicht mehr möglichen Rechtfertigung des Individuums führen würde, was wiederum zwangsläufig zum Faustrecht der ungeschriebenen Gesetze überleitet. Wenn es nicht gelingt, die Tendenz zur Macht der Akzeptanz der jungen Generationen mit einem von Glaubens- und Gewissensfragen befreiten Recht der Alten in Übereinstimmung zu bringen, haben die künftigen mittleren gar keine andere Wahl mehr.
Es ist darum eine Schande, was aus der Erkenntnis des Unrechts geworden ist, wenn man bedenkt, wie täglich ungezählte Menschen in ihrem Selbstwertgefühl herab gesetzt werden durch eine Gerichtsbarkeit, die sich auf Rechte in Gesetzen beruft, die es gar nicht gibt. Vereinfacht zusammengefasst geht es in der Rechtsauslegung nur noch darum, wer besser lügen kann und nicht darum, wer unrecht hat. Andererseits entspricht dies exakt der Ironie einer Hoheitsbelustigung, wenn das ursprüngliche römische "Divide et impera" im Recht als "entzweie mittels Parteiadvokaten und schlichte in Gottes Namen" jetzt 1500 Jahre nach dem Untergang dieses Weltreiches auch noch zur Gefahr für die ganze nichteuropäische Christenheit geworden ist.
Eine Ordnung, deren Konzept durch die Generationen verloren ging, ist auch keine Ordnung mehr, sondern im gesamten Nährboden egoistischer Gesetzlosigkeit, also Recht in Reinkultur: Das reale Risiko, an einen Schwachsinnigen zu geraten, der für einen zu heissen Kaffee ein paar Millionen Dollar Schadenersatz einklagt und vom Richter auch zugesprochen erhält, besteht zwar erst für multinationale Konzerne in den Vereinigten Staaten von Amerika.