Biografie von Rolf Pfister in Zürich


Mein Vater


Vati Röbi Pfister 1920-2017 (97 Jahre)

Mein Vater erscheint mit einer natürlich angeborenen Aura der Respekt-Person. Ernsthaft an der Sache interessiert und orientiert. Er war mündlich besser als schriftlich. Eher einer jener welche sich selber gerne reden hören. Er erzählte oft aus seinem Fundus an gelebter Erfahrung, wenn auch sich die Geschichten über die Jahre hinweg wiederholten. Er war umgänglich und zugänglich, konnte überall zu jedem Thema in eine Diskussion einsteigen oder selber ein Gespräch beginnen. Mit seinen Kindern gespielt hat er nicht, ausser manchmal am Abend mitgemacht beim Eile mit Weile. Er hat gerne gejasst, das war für uns dann später schon fast wieder zu viel wenn wir keine Lust dazu hatten.

Politisch hat er nicht Partei genommen, aber Wahlen und Abstimmungen waren ihm Pflicht. Die damals gängigen Klischees, die Vorurteile, hat er uns ohne gross hinterfragen weiter gegeben. Eine Abneigung hatte er vor allem gegen die Italiener, Tschingg genannt wegen ihrem Würfelspiel Cinque, welche in den 60er Jahren zu Tausenden vor allem als Saisonier in die Schweiz arbeiten kamen. Er absolvierte nach der Sekundarschule eine Lehre als Landschafts-Gärtner in der Gärtnerei Strickler in Richterswil mit Kost und Logis. Bei der militärischen Aushebung zur Rekrutenschule 1939 wurde er für ein Jahr zurückgestellt (mit Körpergrösse 173 bloss 55 kg Gewicht) und schliesslich als Motorfahrer dem Hilfsdienst zugeteilt, wo er das Lenken von schweren Lastwagen lernte.

Die Lehrzeit beendet, hatte er den Wunsch, auf der elterlichen Liegenschaft im Herner selbständig eine Landschafts-Gärtnerei zu betreiben, was ihm aber von seinem Vater verweigert wurde und zum Bruch führte. Er suchte und fand eine Arbeit in Ostermundigen nahe Bern in der Gärtnerei Woodtli und zog dorthin um. 1946 kam er auf Wunsch seines Vaters zwecks Mithilfe wieder zurück in den Herner nach Horgen, weil seine Mutter für längere Zeit arbeitsunfähig wäre. Mein Vater wechselte mehrmals die Arbeit, wegen einer Angina Pectoris musste er aufhören beruflich Lastwagen zu fahren. Er besuchte eine kaufmännische Abendschule in Zürich zwecks Zusatz-Ausbildung.

Gärtnerei Woodtli Ostermundigen, Gärtner
Baumschule Rusterholz Oberrieden, Gärtner und Lastwagen-Fahrer
Baubedarf Zürich, Lastwagen-Fahrer
Transport-Kontor Zürich, Rechnungsbüro
Landis & Gyr Zug, Lagerist
Seehotel Meierhof Horgen, Garagenchef
Parkhaus Hallenstrasse Zürich, Operator
Kläranlage Horgen, Betriebsassistent
Gemeindewerke Horgen, Vermessungsamt
Fähre Horgen-Meilen, Kassier
Stäubli Horgen, Privat-Gärtner

Er arbeitete immer, war nie arbeitslos. Trotz seinem eher bescheidenen Einkommen als Allein-Verdiener für die sechsköpfige Familie machten meine Eltern keine Schulden und uns mangelte an nichts. Allen vier Kindern wurde eine Berufslehre ermöglicht.


1966 mit Eltern und Schwestern

Zwischenzeitlich rauchte er die Sargnägel genannten Toscanelli-Stumpen, später dann schmale Brissago-Zigarren und verbrauchte Unmengen Treupel-Tabletten gegen seine Kopfschmerzen. An seinen Autos hat er gerne gearbeitet mit Reparatur-Anleitungen aus dem Buchladen. In der alleinstehenden Garage im Herner konnten dicke Bahnschwellen unter dem Wagen entfernt und aus der Grube von unten her am Auto gearbeitet werden. Zuerst ein Fiat Topolino mit Faltdach und Reserverad am Heck, dann Simca1000, Simca1300, Renault16. Gegen Fahrzeuge aus England hatte er den Vorbehalt, die würden zu schnell rosten.

Mit seinen Geschwistern hatte mein Vater nur sporadisch Kontakt. Sein jüngerer Bruder war Gründer und Verleger vom Dreispitz-Zeitungsverlag in Zürich und Götti meiner älteren Schwester Ruth. Er kam jeweils kurz vorbei wenn er seine Eltern besuchte. Als mein Vater auf dem Weg zur Arbeit in Zürich mit dem Auto unverschuldet in eine Kollision verwickelt wurde, hat sein Bruder ihn nachmittags nach Horgen gebracht am Gehstock mit einem grossen Pflaster an der Stirn. Die Schwester Aline war Gotte meiner Schwester Regi und kam öfter zu Besuch. Sie war Handarbeit-Lehrerin in Zürich, ledig und streng gläubig in einer evangelischen Freikirche. Jede Weihnacht brachte sie allen Kindern Geschenke. Vaters Lieblingsschwester war die Hanna, welche ab und zu besucht wurde in Grüningen. Ihre Kinder waren einzeln auch mal ferienhalber bei den Grosseltern in Horgen.

Als die Erbschaft nach dem Tod beider Eltern verteilt war, arbeitete er noch wenige Jahre Teilzeit als Privat-Gärtner in Horgen für die Villa eines Industriellen. Nachher widmete er sich voll und ganz dem Unterhalt der Liegenschaft, die ihm nicht mehr gehörte.

Anders wie sein Vater war mein Vater mit den Nachkommen grosszügiger: Einem Schwiegersohn verhalf er mit rückzahlbarem Darlehen zum eigenen Optiker-Geschäft, einem anderen Schwiegersohn kaufte er ein Boot auf dem Genfersee und bestand dazu die Schiffer-Prüfung (selbst mit dem Boot gefahren ist er allerdings bloss 2-3 Mal). Mir ermöglichte er zusammen mit meiner Frau die Selbständigkeit durch Kauf eines Lebensmittel-Geschäftes in der Stadt Zürich. Sich selber gönnte er einen Plymouth Barracuda V8 aus Schweizer End-Montage und eine Handharmonika Hohner-Gola. Fortan nahm er Einzel-Unterricht am Instrument, wurde Mitglied in einem Orchester-Verein und besuchte Musiklehre-Vorlesungen an der Volkshochschule in Zürich.

Vor allem interessierte ihn nun die klassische Musik. Sein Cousin war Organist der reformierten Kirche Richterswil und er besuchte oft dessen Johann-Sebastian-Bach-Orgel-Konzerte. Seine Frau musste, wenn auch eher widerwillig, meist auch mit dabei sein.

1994 erfolgte der Umzug in eine Zwei-Zimmer-Wohnung der Alterssiedlung Tannenbach. Ein paar Jahre später verzichtete er freiwillig auf seinen Auto-Führerschein, weil er seine Unsicherheit merkte. Obwohl ich ihm von der Narkose im hohen Alter abriet, liess er sich nach jahrelangen Schmerzen mit 80 noch künstliche Hüften einpflanzen.

Eine sich schon länger ankündigende Demenz wurde schliesslich als Alzheimer erkannt und führte Mitte 2010 nach einem kurzen Spital-Aufenthalt zur Einweisung in ein Pflegeheim, wo er 2017 verstarb. Mutter besuchte ihren Gatten bis zuletzt jeden Sonntag. Als mich der Vater nicht mehr als seinen Sohn erkannte, habe ich auf weitere Besuche verzichtet.