Biografie von Rolf Pfister in Zürich


Religiosität

Schweizerisches Zivilgesetzbuch
IV. Religiöse Erziehung
Art. 303, 3
Hat ein Kind das 16. Altersjahr zurückgelegt,
so entscheidet es selbständig über sein religiöses Bekenntnis.


1969 verliess ich, kurz nach meiner Konfirmation, mit 16 Jahren die Glaubens-Gemeinschaft, in welche ich hinein geboren wurde, die Evangelisch-Reformierte Landeskirche. Die Vermittlung der reinen Lehre im Unterricht hatte bei mir einen Gegensatz zur tatsächlichen Information erzeugt. In Vietnam bombardierten christliche Amerikaner eine unschuldige Zivil-Bevölkerung mit Napalm-Bomben. Konfessionslose 25 Jahre später konnte ich, für mich, mit Sprach-Kritik auch die Deutungshoheit der Universität aufheben, indem ich den kulturell vorherrschenden Syllogismus [Art der Schlussfolgerung] des ausgeschlossenen Dritten gedanklich erweitert habe mit der dreieinigen Polarität. Das heisst, nicht entweder oder, sondern jenes die Vorgaben zwingend gegenseitig Bedingende steht im Zentrum.

Meiner Kenntnis entzieht sich, warum noch heute im Jahr 2019, unter dem Titel der gesetzlich garantierten Glaubensfreiheit trotzdem viele Menschen nicht vom Glauben frei werden können durch selber Denken, sondern sich weiterhin in einem beliebig vorgegebenen Glaubens-Bekenntnis zusammenfinden und sich dann bemüssigt fühlen, ihre privaten Einbildungen im Verein als sogenannte Religion öffentlich zu machen, dazu womöglich noch spezielle Symbole tragend. Religion und deren organisierte Zugehörigkeit hat aus meiner Sicht im öffentlichen Raum nichts verloren und nichts zu suchen. Das sei Privatsache. Punkt.

Meine eigene ungläubige und spirituelle Religiosität gründet auf der strikten Beachtung des noch Unbekannten. Ausgehend vom dreieinigen Grundprinzip aller Biologie, jeder lebenden Zelle : Erkennen, Unterscheiden, Auswählen. Mein Nicht-Wissen vom Unbekannten ist für mich meine gedanklich ungläubige Triebfeder. Ein Denkfehler mit Unsinn beginnt für mich dort, wo Unbekanntes durch Benennung als etwas Bekanntes eingebildet und behauptet wird.

Als einen der wesentlichen Denkfehler nebst Religion erkannte ich den unbewussten gedanklichen Umgang mit dem Zeitbegriff. Weil der Mensch kein Sinnesorgan hat für die Zeit als 4. Koordinate im Raum, wird lediglich die Zeit-Messung wahrgenommen. Tag-Nacht-Wechsel, Sonnenstand bis hin zur definierten Sekunde der Uhren. Jener Moment aber, in welchem die Gegenwart stattfindet, der ist so unvorstellbar viel kürzer als eine Sekunde, dass eine Messung ausgeschlossen und schlussendlich dort auch keine Zeit mehr ist. Die Gegenwart ist, so gesehen, zeitlos.

Bereits 1905 hat der Physiker Albert Einstein, 1879-1955, die Relativität von Raum und Zeit nachgewiesen. Das heisst in diesem Zusammenhang, was sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, ist ebenfalls zeitlos. Damit wird das Raum-Zeit-Kontinuum vom Entdecker der Formel E=mc² für mich verständlich, mit Bezug auf meine menschliche Ebene in einem übertragenen Sinn:

Der Raum, das ist der nicht mehr messbare Moment von zeitloser Gegenwart, mein Dasein - verbunden mit der messbaren Zeit als Vergangenheit und Zukunft. Zeitlose Gegenwart bedeutet auch ewig; ohne Anfang und ohne Ende.