Biografie von Rolf Pfister in Zürich


Grosseltern mütterlicherseits


Elternhaus meiner Mutter in Langnau im Emmental

Um 1890 zog die Familie Ramseier von ihrem Bürgerort Eggiwil BE nach Langnau im Emmental, wo in der Nähe vom Frittenbach das Handwerk der Zimmerei und Schreinerei betrieben wurde. Der elterliche Betrieb wurde später, wie üblich, vom jüngeren Sohn Friedrich weitergeführt. Der ältere Sohn Johann bezog an der Burgdorfstrasse beim Bahnübergang ein Eigenheim. Johann Ramseier, Beruf Schreiner, 1882-1972, heiratete 1905 in Langnau die Emma Flückiger, 1885-1969. Emma war das 9. von 11 Kindern des Johannes Flückiger, Sohn der Elisabeth Flückiger (Vaterschaft unbekannt) und der Anna Maria Fankhauser.

Dieser Ehe entstammten 6 Kinder. Bemerkenswert sind die Abstände zwischen den Kindern. Bei der Geburt meiner Mutter war ihr ältester Bruder bereits 22 Jahre, die älteste Schwester 19: Ernst 1905, Ida 1908, Gret 1911, Willi 1913, Hans 1922, Ruth (meine Mutter) 1927


Grosseltern 1965 Diamant-Hochzeit (60 Jahre)

An meine Grosseltern mütterlicherseits habe ich nur noch eine verblasste Erinnerung. Ich durfte als Kind mehrmals jeweils im Sommer eine Woche zu ihnen nach Langnau ins Emmental.

Die ersten Nächte, bis sich Gewöhnung einstellte, wurde ich von den endlos langen Güterzügen geweckt, welche nur dreissig Meter vom Wohnhaus entfernt auf der Eisenbahn-Linie vorbei ratterten. Tagsüber konnte ich allein die Umgebung erkunden. Gerne stieg ich auf den hundert Meter höher gelegenen Mörker, ein naher Aussichtspunkt an der Flanke des Dorfberges von Langnau. Dort im Wald suchte ich nach speziell geformten Wurzeln, als ich, etwa zehnjährig, das Gefühl verspürte, angestarrt zu werden. Mich umschauend bemerkte ich in einiger Entfernung einen Mann, welcher mich beobachtete. Nachdem ich mehrmals die Richtung gewechselt hatte, war dieser Mann noch immer da. Erschrocken ergriff ich nun panisch die Flucht, rannte durch den Wald bergab ins Freie und durch hohes Gras einer Wiese zur einzigen Strasse im Seitental, wo ich noch nie war. Mit einem zufällig vorbei kommenden Pferdefuhrwerk konnte ich mitfahren bis zur Molkerei in der Nähe meiner Grosseltern. Fortan vermied ich die Alleingänge im Wald.

Die beiden gingen damals gegen die 80 Jahre zu. Der Grossvater war ein stiller, schmächtiger Mann, neben der stämmigen Grossmutter wie ein Schatten kaum vorhanden. Sie entsprach, wie meine Mutter, dem typischen Emmentaler-Modi; Pfarrer David Ris aus Trachselwald schrieb 1762 in seiner Beschreibung des Emmentals über die Emmentalerinnen: Die Weibspersonen sind gewöhnlich von starker und etwas besetzter Leibesgestalt, solche, die mit stark roten Wangen und fetten Leibs sind, werden unter die vorzüglichen Schönheiten gerechnet.

Mein Langnau-Grosmuëti war eine fürsorglich liebe und ruhige Frau, ich war gerne bei ihr und fühlte mich geborgen. Oft sass sie lesend im verglasten Eintritt über der Treppe zum Seiten-Eingang, von wo aus sie den Überblick hatte auf die Hauptstrasse und die dort vorbei gehenden Menschen. Im Untergeschoss mit Oberlicht-Fenstern befand sich die frühere Werkstatt mit zwei grossen Tischler-Bänken aus Holz, einst Arbeitsplätze für das Handwerk meines Grossvaters. Eine Mansarde mit separatem Treppen-Zugang wurde von einem Cousin bewohnt, welcher von den Grosseltern aufgenommen worden war, nachdem seine Mutter den Vater, ihren Sohn, verlassen hatte. Seine Schwester kam zu ihrer Tante, meiner Gotte, in Horgen.

Johann und Emma Ramseier-Flückiger fanden im hohen Alter zur Pflege Aufnahme in Horgen bei der Tochter Ida Grivel-Ramseier (meinem Gotti). Das Haus an der Burgdorfstrasse in Langnau wurde verkauft. Emma verstarb 1969 mit 84, Johann 1972 mit 89 Jahren.