Biografie von Rolf Pfister in Zürich


Familien-Gründung

Wie erwähnt lernte ich meine Ehefrau und Mutter unserer drei Kinder 1973 am Arbeitsplatz kennen. Selber erst seit kurzem dort tätig, wurde uns eine neue Mitarbeiterin vorgestellt, die von mir in ihren Bereich eingearbeitet werden sollte. Die zierlich feingliedrige und schlanke 22-jährige Frau gefiel mir, ihre Wesensart war mir sofort sympathisch. Aber sie war verheiratet und ich noch mit meiner Freundin zusammen. Durch die Arbeit im gleichen Büro-Raum ergaben sich von selbst auch private Informationen. Sie kannte mein Problem mit Karin und ich erfuhr, dass sie nach einjähriger Ehe bereits wieder die Scheidung wollte. Zur Bank war sie durch ihre Schwägerin gekommen, welche ich als Kassier abgelöst hatte und die nun in der Börsen-Abteilung arbeitete. Zuvor habe sie allein das Rechnung-Büro in einem Auto-Zubehör-Geschäft geführt und sei zur Privatbank gewechselt, weil ihr hier, echt, der doppelte Monatslohn geboten wurde.

Per Du wurden wir anlässlich einer betrieblichen Plausch-Veranstaltung, von jüngeren Mitarbeiterinnen organisiert. Nach Feierabend gingen wir zu sechst im Raclette-Stübli essen und danach in der Kegelbahn im Untergeschoss vom Dancing Golden Gate an der Limmatstrasse zu unserem kleinen Kegel-Turnier. Oben wurde noch getanzt und wir beide verstanden uns dabei auf Anhieb. Sie bewegte sich federleicht mit ihren 43 Kilogramm bei 152 Zentimetern Grösse. Ein Traum, sich mit ihr beim geschlossenen Tanz zu bewegen. Ich begleitete Trudi noch auf ihren Bus und verlangte beim Abschied einen weiteren Tanz mit ihr. Sie liess mich Monate lang zappeln und vergeblich anklopfen, bis sie endlich einem Rendezvous zusagte. Ich besass wieder ein Auto, Ford Capri 1600, und konnte sie bei ihr zu Hause abholen. Wir fuhren zum Dancing Belmondo in Dübendorf, zu früh, der Diskjockey begann erst um 21 Uhr mit der Musik, an der langen Bar-Theke gleich nach dem Eingang sassen verloren ein paar Männer, die Tische rund um die Tanzfläche waren noch frei. Wir nahmen nebeneinander Platz auf einem Zweier-Sofa und bestellten eine Flasche St.-Saphorin-Weisswein, im Eiskübel. Das Lokal füllte sich langsam, ich legte irgendwann meinen Arm um ihre Schultern, wir sahen uns tief in die Augen und küssten uns gleichzeitig zum ersten Mal. Dann tanzten wir stundenlang Discofox, 4/4 Takt, lieber langsamer als schneller, mit Pause bei jenem Takt, welcher den Besuch einer Tanzschule voraussetzte. Beide tanzten wir gerne, harmonisch zusammen in einem uns eigenen Freistil, hatten auch keine Hemmung, als Erste eine leere Tanzfläche zu betreten. Zum Abschied im Auto erstmals geliebt, danach waren und blieben wir ein Paar, bis heute.

Am Arbeitsplatz blieb unser Verhältnis nicht lange verborgen, war doch ihr goldener Schlüsselchen-Anhänger an ihrem Hals durch mein kleines Herz aus Gold ersetzt worden, den Schlüssel trug nun ich, allerdings unter meinem Hemd. Da wir mittlerweile in zwei verschiedenen Abteilungen in anderen Räumen arbeiteten, entstanden durch unsere Beziehung keinerlei Probleme. Kurz danach wurde die Ehe von Trudi geschieden. Am Tag der Scheidung lud sie mich und ihren frisch geschiedenen Ex-Mann zusammen mit seinem besten Freund zum Abendessen bei sich zu Hause ein und bereitete ein köstliches Riz-Casimir. Die Trennung der beiden vollzog sich ohne jeden Streit in gegenseitigem Anstand und Respekt, richterlich abgesegnet. Trudi behielt die Wohnung, wo ich ein paar Wochen später bei ihr einzog nach dem Wegzug ihres Ex-Mannes. Zusammen fuhren wir nun morgens mit dem Auto zur Arbeit am gleichen Ort und abends wieder nach Hause, besuchten zum Mittagessen abwechselnd ein Restaurant im näheren Umfeld der Bank. Die Parkplätze in den Quartier-Strassen der Stadt Zürich waren gebührenfrei und zeitlich unbeschränkt.

Die Löhne wurden von der Direktion-Sekretärin mit Bargeld am Arbeitsplatz ausbezahlt. Von Anfang an machten wir gemeinsame Kasse, legten gleichberechtigt unser beider Lohn-Geld zusammen. Trudi war ausgesprochen kostenbewusst, sparsam und wurde automatisch zuständig für den Überblick und die privaten Einzahlungen mit dem gelben Post-Quittung-Büchlein.

Trudi bewohnte in Zürich-Nord eine Drei-Zimmer-Wohnung im 2. Obergeschoss in einem Altbau, für welchen bereits ein Neubau-Projekt bestand. Vor dem Haus hatte sie einen Auto-Parkplatz gemietet. Aufgewachsen war sie im etwa vier Kilometer entfernten Zürich-Affoltern in einer Vier-Zimmer-Wohnung einer Baugenossenschaft. Sie hatte einen Bruder und drei Schwestern, zwei davon mit 15 und 18 noch minderjährig. Wenn ich wegen Militärdienst abwesend war, wohnte Trudi an den Wochenenden bei der Mutter und den beiden Schwestern. Ihr Vater verstarb 1968 im Alter von 55 Jahren. Voriges Jahr erlitt die Mutter einen kleinen Hirnschlag, bis auf eine leichte Gehbehinderung ohne bleibende Schäden und musste nach dem Spital zur Kur ins Tessin. Beide Elternteile entstammten appenzell-ausserrhodischen Familien, welche anfangs 20. Jahrhundert vermutlich aus wirtschaftlichen Gründen nach Zürich auswanderten.

Unseren ersten gemeinsamen Urlaub verbrachten wir als Camping-Ferien am Meer. Mit dem Ford Capri nach Marina di Massa zwischen Genua und Pisa. Die Touristen-Sommer-Saison war schon längst zu Ende, Warm-Wasser in den Duschen abgestellt. Unser Zelt stand allein am Strand vor dem Pinienwald.

Camping
Marina di Massa (1975)

Wir besuchten und sahen den schiefen Turm von Pisa, die Marmor-Steinbrüche von Carrara, Viareggio mit seiner Promenade, das Küsten-Städtchen Lerici, die Cinque Terre an der Küste, die versteckte Bucht von Portofino. Jeweils abends nach dem Essen zum Tanz in eine Disco. Die Nächte wurden schon kühler und wir hatten keine Stepp-Decken dabei, nur eine Auto-Wolldecke. Doch unsere eigenen Körper genügten, um uns gegenseitig zu wärmen. Auf dem Nachhauseweg führte uns ein Abstecher noch nach Monaco und auf dem Rückweg übernachteten wir in Sanremo, wo uns im Hotel endlich eine warme Dusche im Bad vom letzten Sand befreite.

Am Genfersee heiratete meine ältere Schwester 1975 ihren Freund. An diesem Fest fragte ich Trudi, ob wir beide nächstes Jahr heiraten wollten. Sie hatte keine Einwände und wir haben uns im Februar 1976 auf dem Zivilstandsamt Zürich da Ja-Wort gegeben. Zu viert, nur wir beide und als Trauzeugen ihren Bruder mit seiner Ehefrau im Trau-Zimmer beim Standesbeamten. Danach zusammen im Zunfthaus zum Rüden ein feines Chateaubriand und gleich wieder heim. Meine (ab jetzt) Frau Trudi hatte bereits einmal kirchlich geheiratet, ganz in weiss mit Schleier und Braut-Strauss und danach gefeiert mit Reise-Car und Schiff zum Hotel am Ägeri-See, ein grosses Fest mit Musik-Kapelle und Polonaise durch das ganze Haus. Für diesmal entschlossen wir uns, eine abgelegene Wald-Hütte für Veranstaltungen in Spreitenbach zu mieten und unsere sechzehn Gäste zu einem selber gemachten Fondue Chinoise einzuladen.

Der Capri wurde nach einem Motorschaden ersetzt durch einen Plymouth Valiant. Für die nächsten beiden Monate war wieder Militärdienst angesagt in der Kaserne Stans, den Rest-Anteil vom höheren Unteroffizier abverdienen. Ab und zu besuchte ich über Nacht meine Frau in Zürich. Ohne Urlaub-Pass auch nicht bewilligt. Als Fourier hatte ich die ganze Nacht über Ausgang, musste einfach beim Morgenessen zurück sein. Bei einer solchen Fahrt in Richtung Zürich war ich einen Moment unaufmerksam und geriet in einer langen Links-Kurve bei Hünenberg in der Nähe von Zug auf die Grasnarbe neben der Fahrbahn. Mit der nicht regulierten, leichten Servo-Lenkung war keine Korrektur mehr möglich, der Wagen geriet auf das abfallende Bord, hängte ein an einem Verankerung-Seil einer Strassenlaterne, überschlug sich erst diagonal und dann noch quer hinunter ans Bahngleis. Als ich nach dem Schock wieder bei mir war, krabbelte ich unverletzt, der Wagen hatte keine Sicherheits-Gurten, durch die nun fehlende Windschutz-Scheibe ins Freie. Oben an der Strasse standen bereits Zuschauer, die Umgebung hatte Stromausfall. Die Polizei setzte mich zuerst in ihrem Streifenwagen auf die Rückbank und nach langem Warten ging die Fahrt nach Zug auf den Posten. Dort wurde mir nach der Einvernahme die Blutprobe abgenommen. Per Anhalter fand ich zurück nach Stans, rechtzeitig zum Frühstück. Danach verliess ich das Büro die nächsten Tage keine Minute zu viel und konnte die vom Kantonspolizisten angesagte Benachrichtigung über den Vorfall an meinen Kompagnie-Kommandanten in seinem Namen selber entgegen nehmen. So beendete ich zwei Wochen später unbehindert meinen Dienst und hatte der Militär-Justiz zusätzliche Arbeit erspart.

Autounfall
Plymouth Valiant nach Doppel-Salto (1976)

Zum Glück ergab die Blutprobe einen Wert knapp unter der Toleranz-Grenze. Unerfreulich war nachher die Post zu Hause: Busse wegen Nichtbeherrschen, Ausweis-Entzug für drei Monate. Und viele Rechnungen, für die Bergung vom Fahrzeug, Fehlfahrt Krankenwagen, Gemeindewerk für den Strommasten, Bundesbahn für die Reparatur vom beschädigten Zaun, Landwirt für das Aufräumen der Wiese. Manches war durch Versicherungen gedeckt, aber einiges eben nicht.

Unsere geplanten Flitter-Wochen mussten wir jetzt ohne Auto umdisponieren. Wir entschlossen uns für zwei Wochen Badeferien auf Mallorca mit dem Flugzeug. Mit dem Reiseveranstalter Universal-Reisen im Hotel La Perla in s'Illot. Weil unsere drei jüngsten Schwestern noch nie am Meer waren, hatten wir diese zur Mitreise eingeladen und mitgenommen. Meine Schwester war 21, jene von Trudi 19 und 16. Im Hotel erhielten wir zwei Zimmer mit Verbindungstüre und Meer-Blick. Das Essen in Voll-Pension war geniessbar, ein dunkler, muffiger Saal im Untergeschoss. Unsere Hauptbeschäftigung bestand im Sonnen-Baden und abends tanzen in der nahen Disco. Nebst Sangria schlürfen selbstredend für uns beide.

Noch bevor der wegen Neubau befristete Mietvertrag von Trudi auslief fanden wir eine Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung in einer Wohn-Baugenossenschaft an der Stadtgrenze in Zürich-Affoltern und zogen um. In die sechste Etage eines Hochhauses, mit Sonne von morgens bis abends. Der Balkon in Richtung Süden. Das Kellerabteil war im 2. UG ohne Lift, mit Vorteil zu Zweit aufzusuchen, weil allein dort unten hätte niemand etwas hören können. In der Mitte des Hochhauses war die Waschküche mit Tumbler und Trocknung-Raum. Nachdem uns dort Bett-Wäsche gestohlen wurde, hatten wir uns eine eigene Wasch-Maschine in der Küche angeschafft. Eine grosse Tief-Garage mit Wasch-Platz für das Auto war in der Nähe.

Für das halbe Zimmer liessen wir uns von der Möbel-Schreinerei Schärer in Hirzel einen Schiefertisch, zweiseitig ausziehbar, anfertigen mit einer U-förmigen Sitzbank, genau passend in das Zimmer. Von meinem Vater hatte ich gelernt, Mittelpunkt einer Wohnung sollte ein richtiger Tisch sein und nicht die neumodische Polster-Gruppe mit dem kleinen Klubtisch. Meine Frau Trudi ist eine hervorragende Gastgeberin und eine Spitzen-Stern-Hobby-Köchin. Sie bewirtet und bekocht gerne Besuch, an Familien-Anlässen waren schon 18 Personen gleichzeitig bei uns zu Hause am Tisch beim Essen und Trinken. So haben wir lieber den Besuch bei uns als umgekehrt. Durch die neu importierte Mode, beim Betreten einer Wohnung die Schuhe ausziehen, wird besuchen ohnehin schwieriger. Ich ziehe meine Schuhe jedenfalls nirgends aus. Wer ein Problem hat mit der Hygiene vom Fussboden oder sich die Renovation der Wohnung nach meinem Besuch sparen will, braucht mich auch nicht einzuladen.

Irgendwann hatte ich Trudi gegenüber beiläufig erwähnt, jetzt wo wir verheiratet seien, müsste sie doch die Anti-Babypille bzw. 3-Monat-Spritze nicht mehr nehmen. Unerwartet, aber hoch erfreut nahmen wir das positive Resultat vom Schwangerschaft-Schnelltest zur Kenntnis: Trudi war guter Hoffnung mit unserem ersten Kind, Termin im Mai 1977.

Am Arbeitsplatz wurde an einem frühen Nachmittag die blinkende Überfall-Alarm-Anzeige nicht zurück gestellt. Meine schwangere Frau war nebenan im Schalterraum beim arbeiten. Sie sagte, sie habe nichts bemerkt, bis sie auf ein Psst hin aufblickte und über den offenen Korpus in den Schall-Dämpfer einer Pistole blickte. Der Überfall durch die zwei Männer dauerte nur wenige Sekunden bis sie das Bargeld, etwa dreissig tausend mit den Fremd-Währungen, aus der Kasse hatten und wieder verschwanden. Vom Tresor hinter der geschlossenen Holzwand wussten sie nichts, dort waren ausgerechnet an diesem Tag zwei Millionen Franken zur Abholung bereit gestellt worden. Die Täter waren Mitglieder der für Überfälle berüchtigten Alfa-Bande, welche auch schon geschossen und getötet hatte. Nachdem die Polizei wieder weg war wurde weiter gearbeitet als ob nichts passiert wäre. Nichts von neumodischen Care-Teams oder Seelsorge. Alle Mitarbeitenden mit Kontakt zum Schalter mussten später ihre Finger-Abdrücke abgeben bei der Kriminalpolizei. Angesichts meiner dem Vergessen anheimgestellten Vorgeschichte tat ich dies mit einem (unbegründet) mulmigen Gefühl.

Das Betriebsklima wurde zunehmend eingetrübt durch die fast täglichen Nachrichten von Massen-Entlassungen. Die von einer Ölpreis-Krise 1973 ausgelöste Welt-Wirtschaftskrise schlug in der Schweiz erst 1976 voll durch. Auch auf unserer Privat-Bank war weniger Arbeit. Nicht wie anderen war mir mit meiner speditiven Arbeitsweise zutiefst zuwider, so zu tun als würde ich arbeiten und dabei einfach Papiere auf dem Pult von einem Stapel zum nächsten zu verschieben.

Ein denkbar schlechter Moment für mich, der wegen Lohnaufbesserung infolge Vaterschaft vorsprach und keine erhielt. Nebst den Stellen-Anzeigen studierte ich nun auch die Geschäft-Verkäufe und sah einen zum Verkauf angebotenen Lebensmittel-Laden in Zürich. Das wäre doch etwas, fanden wir beide. Ich rief meinen Vater an, welcher vor kurzem die Erbteilung meines Grossvaters erhalten hatte und fragte nach seinem Einverständnis für ein Darlehen. Nach Schilderung der Sachlage sagte er zu und wir besichtigten den Tante-Emma-Laden nahe beim Goldbrunnen-Platz. Wir beide ohne jede Praxis auf diesem Gebiet konnten einen ganzen Samstag-Verkauf-Tag lang im Laden dabei sein, schnupperten und hatten uns danach zum Kauf entschieden mit Übergabe auf den 1. April 1977. Dass wir in dieser unsicheren Zeit, als nicht wenige in Sorge um ihren Arbeitsplatz waren, den unseren freiwillig hergaben und mit Schwangerschaft die Selbständigkeit wagten, wurde von einigen erstaunt bis verwundert zur Kenntnis genommen.

Privatbank
Hier lernte ich 1973 meine Frau kennen