Biografie von Rolf Pfister in Zürich


Meine Eltern

Pfister-Ramseier
1951 Hochzeit meiner Eltern

Am 3. März 1951, fünf Monate vor der Geburt der Tochter Ruth, meiner älteren Schwester, heiratete mein Vater 31-jährig am Wohnort der Frau in Langnau im Emmental die 24-jährige Ruth Alice Ramseier, meine Mutter. Verlobung war am Bettag 1949. Kennen gelernt haben sie sich, als er in Langnau ihren Bruder Hans besuchte, den er in Horgen kennen gelernt hatte, als dieser als Elektriker bei der Gemeinde arbeitete. Die Ehe wurde nach 66 Jahren durch den Tod meines Vaters beendet.

Die junge Familie bezog am Wohnort des Mannes 1951 eine Wohnung mit 4 Zimmern im Wohnhaus seiner Eltern, zuoberst im nördlichen Hausteil. Das Wohnhaus war zweigeteilt. Der südliche Eingang führte zur Haupt-Wohnung mit 9 Zimmern auf 3 Stockwerken (kein Parterre) wo meine Grosseltern wohnten, der nördliche Eingang führte über ein Treppenhaus zu 3 Etagen-Wohnungen welche vermietet wurden. 1953 kam ich zur Familie hinzu, 1954 meine Schwester Regi und 1955 meine Schwester Thesi.

Das Verhältnis zwischen meinen Eltern und Grosseltern war und blieb distanziert vom Umstand belastet, dass meine Grossmutter ihre Schwiegertochter nie akzeptiert hatte. Vermutlich aus religiösen Gründen, weil meine Mutter bei der Heirat bereits schwanger war. Bei meiner (reformierten) Grossmutter lag immer eine aufgeschlagene Bibel auf dem Stubentisch. Jeden Sonntag eilte sie zielstrebig in Richtung Dorf zur Kirche, ihren Mann gut zehn Schritte zurück im Schlepptau. Im Gegensatz dazu gingen meine Eltern nie zur Kirche. Die Antipathie zeigte sich deutlich, als meine Mutter etwa sieben Jahre später wegen einer Gebärmutter-Entzündung für eine Woche ins Spital musste. Obschon meine Grossmutter im gleichen Haus wohnte, wurde zur Aufsicht und Betreuung der vier Kinder tagsüber eine fremde Haushalthilfe engagiert, damit mein Vater seiner Arbeit nachgehen konnte.

1957 wechselte die Familie ins frei gewordene Holz-Chalet nebenan mit grosser Wohnküche, Wohnraum und 4 Schlafzimmern. 1963 wurde der Wechsel ins Haupthaus vollzogen und die Grosseltern übernahmen eine frei gewordene Wohnung im ersten Stockwerk des anderen Hausteiles.

Meine Eltern funktionierten irgendwie vollautomatisch in der althergebrachten klassischen Rollenteilung: Die Frau meisterte das Zuhause mit Küche, Einkauf und den Kindern und der Mann sorgte für die Existenz-Sicherung mittels Geldverdienst durch Arbeit. Im Haushalt hatte mein Vater nichts verloren und zu tun, übte aber die Kontrolle über das Haushaltgeld aus, welches die Mutter täglich von neuem erhielt. Für das Finanzielle und für das Schriftliche war mein Vater zuständig. Als alle Kinder schon grösser waren hat die Mutter gelegentlich ihr eigenes zusätzliches Geld verdient durch frühabends Büros reinigen oder frühmorgens Zeitungen austragen. Die Zeitungstour mit dem Velo hat sie aber auch gerne an eines der Kinder delegiert.

Im Grossen und Ganzen würde ich das Familienleben meiner Eltern als harmonisch bezeichnen mit einem gegenseitig respektvollen Umgang. Ich kann mich an keinerlei Beleidigungen oder wüste Auseinandersetzungen erinnern zwischen ihnen. Beide tranken keinen Alkohol, besuchten keine Restaurants und verbrachten alle freie Zeit zusammen mit ihren Kindern zu Hause, also auch keine Vereine und dergleichen. Mein Vater hatte in der Liegenschaft, im Garten mit Gewächshaus, dem Wasch-Haus, dem Schopf-Anbau, der Scheune, der freistehenden Garage-Werkstatt oder dem Bienenhaus immer irgendetwas zu tun.

Wir hatten keinen Fernseher und hörten Radio oder haben gelesen in Büchern und Zeitungen. Oft wurde am Stubentisch gespielt, Eile mit Weile gewürfelt. Später lernten wir jassen, zu Viert den Schieber. Musiziert wurde nicht, auch nicht gesungen ausser an Weihnachten bei Kerzenschein. Meine Schwestern lernten alle Blockflöte je für sich. Vater hatte aus seiner Jugendzeit noch eine kleine Handorgel, ich kam damit aber nicht über den Fritzli-Walzer hinaus. Das Einprägen von Musiknoten war mir zutiefst zuwider.

Wir vier Kinder lebten in unserer Liegenschaft wie auf einer kleinen Insel die keine Wünsche offen lässt. Im Rückblick ein Paradies.

Kinderspiel
Mit meinen Schwestern beim Spiel auf dem Scheunenplatz

Ferien war ein Fremdwort, wir waren ein einziges Mal als Familie eine Woche im Reka-Feriendorf Albonago im Tessin. Mit der Bahn durch den Gotthard, wo uns Vater die Kehr-Tunnels erklärte mit der mehrmaligen Sicht der Kirche von Wassen. Im Feriendorf lebten wir in einem modernen Haus wie wir das noch nicht kannten. Bei schönem Herbstwetter wurde täglich gewandert. Dem Luganersee entlang auf dem Höhenweg durch die Rebberge, wo mir nur einen Schritt voraus eine Schlange den Weg kreuzte, nach Gandria. Oder durch Kastanienwälder zum Monte Brè. Auch mal weiter auf Schmuggler-Pfaden zum Monte Boglia an die Landesgrenze. Vater zeigte mir wie die Orientierung mit Landkarte und Kompass funktioniert. Und dass nachts der helle Polarstern immer Norden anzeigt und über das Sternbild vom grossen Wagen zu finden ist. Ausser dieser Woche waren meine Eltern nie in einem Urlaub. Sie haben zeitlebens beide nie ein Flugzeug bestiegen. Auch das Meer haben sie nicht mit eigenen Augen gesehen. Wir Kinder haben während Schulferien manchmal einzeln ein paar Tage auswärts verbringen können bei Verwandten. Als ich zum ersten Mal bei meiner Langnau-Grossmutter in die Ferien durfte, hätte ich mich unter den Stubentisch gesetzt und vor Heimweh geweint. Noch später, in einer Ferienkolonie in Laax, mussten mich die Eltern wieder holen weil ich vom Heimweh geplagt wurde. Ich war schon immer sesshaft und am liebsten zu Hause. Noch heute besteht bei mir das Risiko vom Ferien-Koller bei längerem Aufenthalt in fremder Umgebung.

Die sozialen Kontakte meiner Eltern beschränkten sich auf den tatsächlichen Bedarf. Die genehme Verwandtschaft wurde mehr oder weniger regelmässig besucht oder kam zu Besuch. Einige auch unangemeldet, aber dann zufällig immer eine halbe Stunde vor dem Essen und durften selbstverständlich auch mitessen. Mein Vater wollte keine Fremden in seiner Wohnung, auch wir Kinder spielten nur draussen mit anderen. Die Mutter pflegte ihren Kontakt beim Einkauf. Sie hatte einen regelmässigen Treff mit ihrer älteren Schwester (meinem Gotti) und mehreren Freundinnen im Migros-Restaurant.

Meine Eltern erzogen uns gewaltfrei, wir wurden nicht geschlagen. Meistens genügte eine Androhung, beispielsweise der Verzicht auf Taschengeld, welches wir wenn ich mich richtig erinnere so ab der 2. Schulklasse bekamen im Umfang von etwa zwei Franken. Wirkungsvoll war auch die Drohung der Mutter, sie sage es dem Vati wenn er von der Arbeit heimkomme.

Im Haushalt war ich als einziger Sohn von Arbeiten dispensiert trotz gelegentlichem Protest meiner drei Schwestern. Obschon, die Mutter hat das Meiste ohnehin selber erledigt. Beim alljährlichen Frühjahr-Putz mussten alle mithelfen. Die Rosshaar-Matratzen und die Bettdecken wurden nach draussen geschleppt und kräftig durchgeklopft. An die Teppichklopf-Stange kamen die Läufer aus den Schlafzimmern und der Stubenteppich.

Am Samstag mussten wir jeweils in der Bäckerei einen Vierpfünder Brot abholen und gleich den nächsten bestellen. Ab und zu mussten wir auch Milch holen mit dem Kesseli. Zuoberst nach der steilen Hernerholzgasse war an der Einsiedelerstrasse eine Milch-Sammelstelle mit Lädeli. Gewöhnlich wurde Milch und Butter geliefert vom Milchmann, ins Milchbüchlein eingetragen und monatlich bezahlt.

Milchmann Hofmann (aus Horgener Jahrheft 2015)
Milchmann Hofmann (aus Horgener Jahrheft 2015)

Ob meine Eltern religiös waren weiss ich nicht, Religion und der Glaube von anderen war kein Thema. Gewarnt wurden wir Kinder vor einer privaten Bibelstunde in der Nähe, da sollen wir uns nicht ansprechen lassen, das sei eine Sekte. Die Traditionen lernten wir ohne irgendwelche Einbildungen. Zur Fasnacht, das war einfach sich verkleidet begegnen, backte Mutter selber die dünnen Küchlein mit Puderzucker und schneiderte uns Kostüme. An Ostern, das war das Frühlingsfest, wurde mit einem Anke-Lamm mit Butterzopf begonnen, als Mittagessen gab's Chüngel (vom Grossvater gemetzgt und im Schopf abgehangen). Die Eier zum Tütschen wurden selber gefärbt mit Zwiebel-Schalen, umwickelt mit Gräsern und Blumen für ein schönes Dekor. Am ersten August wurde mit Lampions dekoriert. Dann kamen die Dorf-Chilbi und schon bald wieder der Samichlaus, solange wir noch Angst vor ihm hatten und nicht wussten, dass unter dem weissen Bart der Onkel Heiri steckte. Nach dem Aufsagen der Verse genossen wir Lebkuchen und Grittibänz. Die Räbechilbi in Richterswil anfangs November wurde jedes Jahr besucht. Wir Kinder froren manchmal jämmerlich weil es zu kalt war um längere Zeit draussen stehend zu warten. Den Abschluss machte die Wiënacht abends am 25. Dezember mit den Kerzen am geschmückten Tannenbaum aus dem eigenen Wald und zuoberst einem Glöcklein-Spiel. Da mein Vater nicht den schönsten gesunden Baum schnitt, stand meist eher ein Chrutzli im Wohnzimmer. Zuerst wurden die bekanntesten Lieder gesungen und dann Geschenke geöffnet. Jahreswechsel Silvester, Heiligabend und Dreikönig hatten keine Bedeutung. Trotzdem brachte uns Mutter jedes Jahr einen König-Kuchen und Karton-Krone mit aus der Bäckerei.

Politisch waren meine Eltern sachbezogen und sonst neutral, soweit ich dies überhaupt einschätzen kann. Jedenfalls waren sie keiner Partei zugehörig. Mein Vater hat beim Zeitung lesen oft laut kommentiert und seine eigene Meinung geäussert. Das waren dann meistens ausführliche Belehrungen. Ich würde ihn als eher sachlich und sozial gerecht einordnen. Gelernt habe ich von ihm, die Tageszeitung zu lesen und mich darüber hinaus stets nicht einseitig, sondern umfassend zu informieren.