Geist im modernen Weltbild


Freiheit

Neben dem bereits bekannten tragenden Funktionsprinzip der Selbststeuerung durch Rückkopplung ist aus der Biologie für diesen Gedankengang vor allem die Erkenntnis wichtig, dass die ersten lebenden Zellen mit ihrer Abgrenzung zur Umwelt neben der revolutionären Erweiterung der Natur auch einen neuen und in der Folge äusserst wichtigen Grundsatz begründen im Stoffwechsel: So wenig Aussenwelt wie möglich und nur so viel Aussenwelt, wie unbedingt notwendig.

soziale Kooperation

Jede Form von biologischem Leben hat diese als paradox erscheinende Gratwanderung zwischen Abgrenzung und Anpassung zeitlebens zu bestehen. Vorher und nachher ist kein Leben im allgemein verstandenen Sinn. An dieser Stelle wäre also nebenbei erwähnt der Tod als Nichtabgrenzung und Aufgehen im Ganzen zu verstehen. Doch bleibe ich jetzt beim Leben als langfristiger Aufrechterhaltung einer Abgrenzung mit gleichzeitiger Anpassung.

Im übertragenen Sinn sollten diese vorgegebenen biologischen Konstanten auch beim Denken nie aus den Augen verloren gehen, weil dieses Prinzip selbstredend auch in der späteren gedanklichen Ebene wirkt und es hierbei zum Beispiel im Zusammenhang mit todbringenden Krankheiten um Leben oder Nichtleben geht. Ob es umgekehrt auch im Kosmos anzutreffen ist, entzieht sich noch dem Wissen der Astrophysiker. Rein theoretisch wäre ein analog dem biologischen Zellkörper zu betrachtendes Weltall vorstellbar, weil im Makro- und Mikrokosmos zumindest die gleichen Quanten und Wellen wirken.

So einfach dies auch klingen mag: der Mensch kann sich dessen bewusst sein, dass er vor allem und zu aller erst ein verletzliches Lebewesen aus Fleisch und Blut ist. Unabhängig aller scheinbaren Freiheit seiner Gedankengänge ist er dem Diktat der physikalischen und der biologischen Zusammenhänge unterworfen, welche ihrerseits unabhängig vom Menschen die Umwelt darstellen, in der auch das Menschenleben selbst seinen Platz erkämpfen muss.

Für den Menschen ist dies eine Art von Lebenskunst, die stets wechselnde richtige Reihenfolge der Ebenen sowohl bei Aussenwelt wie auch beim Innenleben zu beachten und in Einklang zu bringen. Im allgemeinen kann vielleicht eine Schablone genügen: Der Mensch selber ist wie eine Zelle, mit betroffen von der Gesundheit des Ganzen, aber autonom in dem Sinne, dass die von ihm zu verantwortenden Öffnungen zur Aussenwelt wie auch der Zustand der Innenwelt direkte Auswirkungen haben.

Es ist offensichtlich, wie enorm wichtig für die Entfaltung des Innenlebens die optimale Steuerung der Aussenwelteinflüsse für den Menschen auf allen Ebenen ist, weil davon auch die notwendigen Reaktionen abhängen. Die Gedanken im Vorstellungsraum der Grosshirnrinde sind zwar frei, aber bezogen auf den Entwicklungszustand des Denkenden immer davon abhängig, wieweit die Wahrnehmung als war-nehmen auch die nicht erkennbare Realität zu erfassen vermag. Das ist kein Widerspruch, sondern verweist auf die an anderer Stelle geschilderte Bedeutung der vererbten magischen Ebene.

Man sagt also nicht von ungefähr, dass Körper und Gedanken der gegenseitigen Gesundheit bedürfen. Jede Störung oder gar Blockade einer biologischen Voraussetzung hat negative Auswirkungen auf das Gesamtbefinden. Unter Umständen kann bereits anhand eines leichten, aber andauernden Schmerzes deutlich bemerkt werden, wie die Konzentrationsfähigkeit und Leistung nachlassen.

Die Freiheit des Menschen ist folglich stets eine vermeintliche, nämlich die, wie man sie gewohnt ist, tatsächlich jedoch beschränkt sie sich auf ein kleines Stück Innenleben, wo dann aber wirklich die an sich ungeheuerliche Möglichkeit besteht zu entscheiden, etwas so zu tun und nicht anders. Dieses Quentchen vollkommener Freiheit ist die Verantwortung zum Leben oder Tod, eingebunden in die angeborene soziale Wesensart des Menschen als Gattung.

Die bestehende Befähigung einer jeden Person, endgültig über Leben und Tod zu entscheiden, also nicht bloss nur nicht zu töten, sondern wissentlich Leben oder Tod festzuschreiben, kann auf religiöser Stufe nicht mehr bewältigt werden, weil nichts, aber auch rein gar nichts jemals ein in dieser Freiheit entschiedenes Handeln verhindern könnte. Insbesonders schliesst dieser biologische Sachverhalt die gläubige Annahme aus, alle Menschen wären gleiche Menschen.

Von der Entwicklungsgeschichte her gesehen gehört die Freiheit des Menschen zur jüngsten Stufe, welche erst mit der Entstehung der Grosshirnrinde möglich wurde. Wesentlich länger schon hat die Natur dem Menschen auf genetische Weise alle Grundlagen der Überlebensfähigkeit mit auf seinen Weg gegeben und tut dies heute noch.

Jeder Mensch ist von Geburt auf mit dem Kern eines sozialen Wesens ausgerüstet, welcher sozusagen automatisch ohne Glauben und Denken funktioniert. Während einer Gefühls-Wahrnehmung kann nicht gedacht werden, nur vor- oder nachher. Sobald aber gedacht wird, ist die angeborene Gefühlswelt mit einbezogen. Die Folge ist ein gefühlsbetonter Meinungsglaube, wie er jetzt weit verbreitet ist. Es wird an das Gute im Menschen und an die Liebe geglaubt in der jeweiligen für die Person passenden Hoffnung, meist verbunden mit einem ausserhalb der Fortpflanzung liegenden Verständnis der Sexualität.

Viele Erscheinungen dieser Zeit haben ihren Ursprung in der Unfähigkeit, korrekte Bezüge herzustellen und die Verantwortung für die eigene Freiheit zur Gestaltung von gegenwärtig Lebendigem wahrzunehmen. Ein Glaube an das Gute im Menschen oder an die Liebe kann nur richtig sein, wenn das Gedankengut dieser Menschen bekannt ist und zudem ein Zugang zu deren Freiheit besteht. Sonst ist dieser Glaube nicht nur falsch, sondern lebensgefährlich: Ein Mensch, dessen Gesamtzustand in Bezug auf Innenleben und Aussenwelt aus den Fugen geraten ist, hat noch immer die Freiheit zur scheusslichsten Schandtat einem Artgenossen gegenüber.

An Stelle des blinden Vertrauens, wie es aus dem Glauben entsteht, wird besser eine wache Aufmerksamkeit gesetzt im sich dessen bewusst sein [nicht gleich der ideologischen Behauptung vom Sein mit der Metapher Bewusstsein], dass der angeborene soziale Kern, das Gute im Menschen, einem abnormen Verständnis einer vermeintlichen Freiheit unterlegen ist und zu einem ungebremsten Egoismus führen kann. Es genügt bereits seit den grossen Seuchen des Mittelalters nicht mehr, den Mitmenschen unabhängig seines unbekannten Vorlebens als Gleichen unter Gleichen zu verstehen. Die genaue Beobachtung und Kenntnis, wie Menschen glauben und denken, wird im multikulturellen Pluralismus zur unabdingbaren Voraussetzung zwischenmenschlicher Beziehungen.

Freiheit, Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Menschen sind keine Geschenke der Natur, sondern beginnen im Kopf als gefühlsmässiges Erkennen der Zusammenhänge und Herstellung der Bezugspunkte, welche je nach Entwicklung eines Menschen verschieden sein können. Den Anforderungen des Seienden [das ist nicht das ideologische Sein] genügt vermutlich jedes Glauben und jedes Denken, welches die eigene Freiheit für die gesamte Entwicklung mitverantwortlich sieht.

Nur bedingt oder teilweise zutreffend ist demnach, wenn gesagt wird, die eigene Freiheit höre dort auf, wo die andere beginne. Das ist erst ein Verhaltensmuster der Kooperation und noch kein Begriff von Freiheit.